Präsidentschaftswahl 2014 in Afghanistan: Wer hat Chancen auf den Sieg?

Teaser Bild Untertitel
Ein afghanische Mann zeigt seinen Tintenabdruck am Finger als Beweis für seine Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen. Das Foto stammt aus dem Jahr 2009

In diesem Beitrag gehe ich auf die Präsidentschaftskandidaten mit den größten Siegchancen ein. Dabei beziehe ich mich auf bislang vorliegende Umfragen. Da aber Umfragen in einem Land wie Afghanistan sehr täuschen können, müssen auch eine Reihe anderer Faktoren in die Analyse miteinbezogen werden. Um die Sache nicht zu kompliziert zu machen, habe ich vier solche Faktoren ausgewählt: Größe und Zahl öffentlicher Veranstaltungen, Unterstützung durch wichtige politische Parteien, Unterstützung durch wichtige Einzelpersonen (im Besonderen Regierungsvertreter und Abgeordnete), und schließlich die Frage, welchem Kandidaten Fachleute und Journalisten den Sieg zutrauen (ermittelt mit Hilfe der „expert consensus method“).[1] Zusammengenommen ergibt sich so, dass von den elf Kandidaten Ashraf Ghani Ahmadzai, Zalmay Rassoul und Abdullah Abdullah die größten Chancen auf den Wahlsieg haben.

Ashraf Ghani ist gelerneter Anthropologe und hat zuvor für die Weltbank und die UNO gearbeitet. Bevor er afghanischer Finanzminister (2002-2004) und Vorsitzender der Kommission zur Steuerung des Übergangs (2010-2013) wurde, hatte er an mehreren angesehenen US-Universitäten unterrichtet. Einen Namen hat er sich mit seiner Anti-Korruptionspolitik gemacht, weshalb die Überraschung groß war, als er sich mit dem vormaligen kommunistischen Warlord und usbekischen Milizenführer, General Abdul Raschid Dostum zusammentat und diesen zu seinem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten machte. Zu seiner Wahlliste gehört außerdem Sawar Danish, ein Hazara, der zu den Anhängern von Karzais zweitem Vizepräsidenten, Mohammad Karim Chalili, gehört.

Zalmay Rassoul war Berater von Afghanistans letztem König, Mohammed Sahir Schah und ist ein Neffe des fortschrittlich gesinnten afghanischen Königs Amanullah Khan. Im Jahr 2002 wurde er Hamid Karzais Sicherheitsberater, und von 2010 bis 2013 diente er als Außenminister, ein Amt, von dem er zurücktrat, nachdem er sich entschlossen hatte, für das Päsidentenamt zu kandidieren. Zu seiner Wahlliste gehören Ahmad Zia Massoud, einst Vizepräsident (2004-09) und Bruder des ermordeten Führers der Nordallianz Ahmad Schah Massoud sowie die erste Provinzgouverneurin in der Geschichte Afghanistans, Habiba Sorabi.

Abdullah Abdullah gehört der zweiten Generation der Mudschaheddin an. Er war Berater des ermordeten Führers der Nordallianz, Ahmad Schah Massoud, und diente von 2001 bis 2005 als Außenminister. Bei den Präsidentschaftswahlen von 2009 belegte er den zweiten Platz. Zu seinem Lager gehören mit Dschamiat-i Islami, Hizb-i Islami und Wahdat-e-Islami drei Gruppen, die während des Bürgerkriegs miteinander verfeindet waren. Dr. Abdullahs Partei, die Dschamiat-i Islami kämpfte zwischen 1992 und 1996 gegen die Parteien seiner beiden Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, Engineer Mohammed Khan und Hadschi Mohammed Mohaqiq.

Ich werde hier nicht weiter auf die Vorgeschichte dieser Bewerber eingehen und auch nicht die weiteren acht Bewerber behandeln, da ich dies zur Genüge in früheren Veröffentlichungen getan habe.[2]

 

Ashraf Ghani

Meinungsumfragen
In Umfragen hat Ghani bislang gut abgeschnitten. Zwar wurde nicht viele Umfragen durchgeführt, diese aber sehen Ghani hinter Abdullah Abdullah auf dem zweiten Platz. In einer Erhebung von ATR-Consulting und Tolonews äußerten sich 13,6 Prozent der Befragten für Ghani, in einer Umfrage von Democracy International (DI)[3] kam Ghani gar auf 26 Prozent.

Öffentliche Veranstaltungen
Ghanis Wahlkampfteam führte eine Reihe von für afghanische Verhältnisse sehr großen Veranstaltungen durch. Als einziger der aussichtsreichen Kandidaten nahm er dabei an öffentlichen Veranstaltungen in den im Süden und Südosten gelegenen Provinzen Khost, Helmand und Paktia teil, wo die Sicherheitslage problematisch ist. Besonders eindrucksvoll fielen die Veranstaltungen in Khost und Helmand aus – nicht allein wegen ihrer Größe, sondern auch, weil sie sehr gut organisiert waren. In Khost trugen freiwillige Wahlhelfer eigens für diesen Anlass entworfene Uniformen und in Helmand wurde die ausgesprochen gelungene Organisation gelobt. An Ghanis Kundgebungen in den nordöstlichen Provinzen Tachar und Badachschan nahmen Tausende Menschen teil, was vor allem an seinem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten lag, dem mächtigen General Dostum.

Politische Gruppen und Parteien
Hinter Ghani steht ein breites Bündnis unterschiedlichster Gruppen – von ehemaligen Mudschaheddin bis hin zu paschtunischen Nationalisten. Mohammed Halim Fedai, einst Gouverneur der Provinz Wardak und Mitglied von Ghanis Wahlkampfteam, zählte kürzlich 40 Gruppen und Parteien[4] auf, die allesamt Ghani unterstützten. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die folgenden fünf Strömungen:

Vier gemäßigte, ehemalige Mudschaheddin-Fraktionen, auf Dari bekannt als Chahargana: Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Nationale Rettungsbewegung unter Führung des ehemaligen Präsidenten Sibghatullah Modschaddedi, die Nationale Islamische Front unter Führung von Sayed Ahmad Gillani, die Islamische Partei von Mawlawi Junis Chalis, die derzeit von Hadschi Din Mohammad geführt wird und die Islamische Revolutionsbewegung von Mohammad Nabi Mohammadi, der jetzt Hadschi Musa Hotak vorsteht.

Gefolgsleute der früheren kommunistischen Regierung: Hierzu gehören die einstigen Milizen des usbekischen Generals Dostum, der Ismailit Said Mansur Naderi sowie Jabar Qahraman aus Helmand.

Paschtunische Parteien bzw. nationalistisch gesinnte Gruppen: Hierzu gehören die Sozialdemokratische Partei Afghanistan (allgemein bekannt als „Mellat“) sowie die Nationale Bewegung. Erstere wird heute geführt von Stana Gul Sherzad, das bekannteste Mitglied der Partei ist aber Anwar-ul-Haq Ahadi, ein ehemaliger Minister und Präsidentschaftskandidat. Auch die Millat-Fraktion von Ajmal Shams gehört diesem Bündnis an. Die Nationale Bewegung wird von Mohammad Ismail Yoon geführt, dem Eigentümer von Zhwandoon Media. Yoon ist ein entschiedener Kritiker der Nordallianz und hat sich dafür eingesetzt, dass die Bezeichnungen „afghanisch“ und „islamisch“ auf den Personalausweisen erscheinen sollen – was Teile der ehemaligen Nordallianz ablehnen.

Die Technokraten: Mehrere Gruppen und Parteien, die von sogenannten Technokraten geführt werden, haben sich auf die Seite von Ghani geschlagen. Dazu gehören Hanif Atmars Wahrheits- und Gerechtigkeitspartei, Ali Ahmad Jalalis „Thought and Action Council (Jirga)“ sowie angeblich Salmai Khalilsad, der ehemalige Ständige Vertreter der USA bei der UNO und frühere US-Botschafter in Afghanistan. Mehrere Stammesgruppen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Splittergruppen haben sich gleichfalls diesem Lager angeschlossen.

Wichtige Einzelpersonen
Im Vorfeld der Wahlen haben die Kandidaten wichtige Individuen stark umworben, seien es regionale Machthaber, ehemalige Warlords, Geschäftsleute, Abegordnete, Medienmogule oder Vertreter der Zivilgesellschaft. Eine kürzlich erschienene Studie der Pajhwok News Agency[5], für die 250 Abgeordnete befragt wurden, besagt, dass 44 von ihnen Ghani unterstützen. Auf Ghanis Seite stehen außerdem der mächtige Usbekenführer Dostum, und sein zweiter Mann fürs Amt des Vizepräsidenten ist ein Protegé des derzeitigen zweiten Vizepräsidenten, Mohammad Karim Chalili. Außerdem auf seiner Seite ist Abdul Kadir Zaher, ein Drogenbaron aus der Provinz Nangarhar im Osten des Landes. Berichtet wird auch, dass eine Reihe prominenter Vertreter der Zivilgesellschaft Ghani unterstützen. Schließlich gehören auch mehrere ehemalige Provinzgouverneure seinem Lager an, darunter Mohammad Halim Fedai und Gulab Mangal.

Was sagen die Fachleute?
Beobachter im Ausland wie in Afghanistan sind sich einig, dass Ghani einer der aussichtsreichsten Kandidaten ist. Auch wurde Ghani zu fast jeder Diskussionsrunde im Fernsehen eingeladen, was in die selbe Richtung weist. Zwar fehlt es an systematisch und methodisch geführten Untersuchungen, aber Dr. Idris Rahmani, ein in den USA lebender afghanischer Forscher, hat eine Tabelle[6] entwickelt, mit der sich die anzunehmende Stimmenverteilung auf Provinzebene schätzen lässt. In dieser Tabelle finden sich nur die Namen von Ghani, Zalmay Rassoul und Abdullah Abdullah, was gleichfalls darauf hindeutete, dass dies die drei Kanddidaten mit Siegchancen sind.

 

Abdullah Abdullah

Meinungsumfragen
Da Abdullah Abdullah von seiner Partei, der Dschamiat-i Islami-yi Afghanistan (Islamische Vereinigung Afghanistans), als Kandidat aufgestellt wurde, ist davon auszugehen, dass er gut abschneidet. Dschamiat war eine der wichtigsten Mudschaheddin-Gruppen und hat, speziell in nicht-paschtunischen Gegenden, immer noch großen Einfluss. Abdullah hat in Umfragen gut abgeschnitten: ATR-Tolonews sieht ihn bei 21 Prozent, DI bei 33 Prozent. Dass er Siegchancen hat, konnte Abdullah bereits 2009 beweisen, als er sich bei den Wahlen nur Hamid Karzai geschlagen geben musste und 1,5 Millionen Stimmen auf sich vereinigte sowie neun von 34 Provinzen für sich entschied.[7]

Öffentliche Veranstaltungen
Abdullah ist ein Publikumsmagnet; Tausende Menschen besuchten 2009 seine Kundgebungen – und dieses Jahr war es nicht anders. Am 27. Februar 2014 fand eine gut besuchte Veranstaltung im Ghazi-Stadium von Kabul statt. Da Abdullah Tadschike ist, war mit großem Zulauf zu rechnen gewesen. Zudem ist Mohammed Mohaqiq, sein Kandidat für das Amt des zweiten Vizepräsidenten, ein Hazara, und diese Volksgruppe ist in Kabul ebenfalls stark vertreten. Vor dieser Versammlung gab es eine Kundgebung im östlich gelegenen Jalalabad, zu der tausend Menschen kamen – und das, obgleich Jalalabad mehrheitlich paschtunisch ist. Abdullah konnte somit zeigen, dass er auch unter Paschtunen einen gewissen Einfluss hat. Bislang hat er allerdings die paschtunischen Kerngebiete im Süden und Südosten noch nicht besucht, und entsprechend ist schwer zu sagen, wie stark die Unterstützung hier für ihn ausfällt (man nimmt an, dass entweder Ghani oder Zalmay Rassoul diese Gebiete für sich entscheiden werden). Ein Besuch in diesen Gebieten würde auch zeigen, wie viel Unterstützugn die Partei seines Stellvertreters Engineer Mohammed Khan hier genießt. Khan ist stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Partei Afghanistans, die von Gulbuddin Hekmatyar gegründet wurde, der ihr immer noch vorsteht. Hekmatyar, ein ehemaliger Premierminister Afghanistans, führt heute eine der kleineren Gruppen von Aufständischen an. Hekmatyars Unterstützung wäre für das Lager Abdullahs sehr wichtig gewesen, jedoch entschied dieser sich für einen anderen Kandidaten der Islamischen Partei, Qutbuddin Hilal.[8]

Politische Gruppen und Parteien
Als Präsident Daoud Khan in den 1970er Jahren entschieden gegen islamische Gruppen vorging, flohen deren Anführer nach Pakistan. Die sunnitischen Gruppen fanden dort ein florierendes Umfeld vor, die schiitischen Gruppen jedoch wurden kaum unterstützt, teils sogar verfolgt. Entsprechend beschlossen sie, in den Iran zu gehen, wo sie acht Mudschaheddin-Gruppen gründeten, die gegen die sowjetische Besetzung des Landes kämpften.[9] Diese acht Gruppen schlossen sich später unter Führung von Abdul Ali Mazari zusammen und nannten sich Islamischen Einheitspartei. Mazari wurde 1995 von den Taliban hingerichtet, kurz bevor diese Kabul eroberten. Zurück blieben mehrere seiner engsten Mitarbeiter, unter denen Mohammad Mohaqeq und Mohammad Karim Chalili, der zweite Vizepräsident unter Kazai, zu den wichtigsten zählen. Auf Seite der Sunniten wurden die Islamische Partei und die Islamische Gesellschaft zu den stärksten Mudschaheddin-Parteien, erstere in den paschtunischen Gebieten, zweitere außerhalb davon.

Während des Bürgerkriegs von 1992 bis 1996 kontrollierten diese drei Parteien Kabul. Ihre brutalen Kämpfe gegeneinander legten die Stadt in Schutt und Asche, wobei an die 80.000 Zivilisten ums Leben kamen. In dieser Zeit kam es zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Nachdem die Taliban an die Macht gekommen waren, kämpften gegen ihre Vorherrschaft die Islamische Gesellschaft und die Islamische Einheitspartei, die sich unter dem Namen Vereinigte Islamische Front zur Rettung Afghanistans zusamengeschlossen hatten – besser bekannt unter dem Namen Nordallianz. Nach dem Sturz der Taliban und während der Präsidentschaft Karzais entwickelten sich diese beiden Gruppen zu wichtigen Parteien, und bei den Parlamentswahlen von 2005 gewannen sie zusammen ein Viertel der Sitze.

Von diesen drei Parteien wird Abdullah Abdullah unterstützt. Die Islamische Gesellschaft hat ihn offziell zu ihrem Kandidaten erklärt, die beiden anderen stellen die Kandidaten für die zwei Posten als Vizepräsidenten. Wie die politische Landschaft Afghanistans zeigt, kommt es häufig zu inneren Unstimmigkeiten und Splittergruppen bilden sich – was bedeutet, nicht alle in diesen drei Parteien unterstützen Abdullah tatsächlich. Ismail Khan aus Herat, ein treuer Gefolgsmann der Islamischen Gesellschaft, ist bespielsweise vom Präsidentschaftskandidaten Abdul Rab Rasul Sayyaf für das Amt eines Vizepräsidenten vorgesehen. Und während Hekmatyar Helal unterstützt, haben sich andere wichtige Mitglieder der Islamischen Partei auf Seiten von Zalmay Rassoul geschlagen; einige wenige unterstützen auch Ghani. Die Islamische Einheitspartei – und damit die Elite der Hazara – ist noch stärker gespalten, wobei Mohaqeq Abdullah unterstützt und Chalili auf Seiten von Ghani steht.

Abdullah wird auch von einer Reihe weiterer Gruppen unterstützt, im Kern jedoch besteht sein Lager aus diesen drei alten Parteien der Mudschaheddin.

Wichtige Einzelpersonen
In der Pajhwok-Studie kommt Abdullah auf Platz drei, denn 38 Parlamentarier aus Ober- und Unterhaus sprachen sich für ihn aus, und jeweils 44 für Rassoul und Ghani. Abdullah ist der Kandidat der mächtigen Panjsheri-Fraktion innerhalb der Islamischen Gesellschaft und der Nordallianz. Eine der wichtigsten Personen in Abdullahs Bündnis ist Atta Muhammad Nur, im Norden Afghanistans einer der mächtigsten Männer und aktuell Gouverneur der Provinz Balch. Nur ist in Balch sehr beliebt und gilt als wichtigster Geldgeber für Abdullahs Wahlkampf. Im Jahr 2009 war es die Unterstützung Nurs, die Abdullah erst zu einem ernsthaften Bewerber um das Präsidentenamt machte. Präsident Karzai reagierte auf dieses Bündnis, indem er sich der Dienste General Dostums versicherte, Nurs Erzrivalen im Landesnorden.

Zwar kann Abdullah mit Ghanis Aufgebot an einflussreichen Individuen nicht mithalten, dennoch verfügt er über ein Netzwerk in ganz Afghanistan, das im Norden und Nordosten des Landes am stärksten ist. Der Tod des ersten Vizepräsidenten Mohammed Qasim Fahim, der am 9. März 2014 starb, wird jedoch Folgen für dieses Netzwerk haben. Fahim war das mit Abstand mächtigste Mitglied der Islamischen Gesellschaft und verfügte über ein sorgfältig aufgebautes Netzwerk von Vertrauten innerhalb der Regierung. Mehrere Minister, Gouverneure, stellvertretdende Minister und Leiter wichtiger Behörden verdanken ihre Ämter seinem Einfluss. Der vormalige Direktor für Kommunale Verwaltungen legte sein Amt nieder, da Fahim ihm vorwarf, sich in seinen Einflussbereich und seine Ernennungspolitik einzumischen.[10] Abdullahs Lager hat zwar oft behauptet, Fahim stände auf ihrer Seite, allerdings hat Fahim Abdullah öffentlich nie unterstützt. Fahims Klientel könnte Abdullah sehr wohl zum Sieg verhelfen, doch kann es ebenso gut sein, dass dieses Netzwerk nach Fahims Tod zerfällt oder sich auf die Seite eines anderen Kandidaten schlägt. Sollte der Nachfolger Fahims einvernehmlich bestimmt werden, kann er auf den Ausgang der Wahl großen Einfluss haben.

Was sagen die Fachleute?
Wie Ashraf Ghani hat auch Abdullah Abdullah an den meisten Diskussionsrunden im Fernsehen teilgenommen. Viele Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass er in der ersten Wahlrunde die meisten Stimmen bekommt.

 

Zalmay Rassoul

Meinungsumfragen
Zalmay Rassoul hat in Umfragen nicht gut abgeschnitten. Unter den elf Bewerbern ist er vielleicht der mit dem geringsten Bekanntheitsgrad. ATR-Tolonews sieht ihn bei einem Prozent der Stimmen, DI bei sechs Prozent. Auch in Online-Umfragen, die allerdings sehr unzuverlässig sind, liegt er weit zurück, was dafür spricht, dass selbst diejenigen, die Zugang zum Internet und zu sozialen Netzwerken haben, ihn kaum kennen.

Öffentliche Veranstaltungen
Ganz im Unterschied zu seinem Rang bei Umfragen, kamen beachtliche Menschenmengen zu Rassouls Veranstaltungen – vermutlich weil Präsident Karzai ihn als seinen Nachfolger auserkoren hat. An die Größe von Ghanis und Abdullahs Kundgebungen kommen jene Rassouls zwar nicht heran, statt tausenden kommen hier meist nur hunderte, dennoch gab es auch einzelne Veranstaltungen mit einem Publikum von tausend und mehr. Besonders erfolgreich waren seine Veranstaltungen in Jalalabad sowie in der Provinz Wardak nahe Kabul.

Was Rassoul dennoch knapp hinter Ghani und Abdullah auf den dritten Platz der aussichtsreichsten Bewerber bringt ist, dass seine Veranstaltungen zwar kleiner, dafür aber ziemlich flächendeckend sind. In fast jeder wichtigen Provinz fand eine Kundgebung Rassouls statt, selbst in schwer zugänglichen Gegenden wie Ghor und Paktia.

Politische Gruppen und Parteien
Zalmay Rassoul ist schon lange in der afghanischen Politik – auch während seiner Zeit im europäischen Exil. Er diente dem ehemaligen König Sahir Schah in Rom und gehörte dann 2001 der von Hamid Karzai geführten Übergangsregierung an. Die Gruppe, die sich in Rom rund um den ehemaligen König gebildet hatte, war eine von nur vier, die 2001 an der Petersberger Konferenz teilnahmen, und neben der Nordallianz war es diese Gruppe, die einen erheblichen Anteil von Posten im neuen Kabinett erhielt.[11] Zalmay Rassoul ist einer der letzten verbliebenen Veteranen aus dieser Gruppe, die in Afghanistan so gut wie nicht präsent ist.

Rassouls erster Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten ist Ahmad Zia Massoud, der Bruder des 2001 ermordeten Führers der Nordallianz, Ahmad Schah Massoud. Das klingt zwar gut, aber nur auf dem Papier, denn in der Praxis spricht wenig dafür, dass Zia Massoud die Unterstützung der ehemaligen Nordallianz erhalten könnte, es sei denn, der Sohn von Ahmad Schah Massoud spräche sich in letzter Minute für die Wahl seines Onkels aus – ein Gedankenspiel, das in Kabuls politischen Kreisen die Köpfe rauchen lässt. Angehörige und Sympathisanten der Nordallianz werden sich zwischen ihm und Abdullah Abdullah entscheiden müssen.

Zwar gehören Rassoul und Zia Massoud zwei der stärksten politischen Strömungen Afghanistans an, ihnen fehlt aber die Unterstützung der mächtigen Gruppen und Parteien.

Wichtige Einzelpersonen
Was Zalmay Rassoul seinen wichtigsten Konkurrenten voraus hat, ist die Unterstützung durch Afghanistans wichtigsten Königsmacher, Präsident Hamid Karzai. Karzai hat Rassoul sorgfältig ausgewählt, was in der Opposition den Vorwurf laut werden ließ, Karzai mische sich ungehörig in den Ablauf der Wahlen ein. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als Karzai bei einem Treffen mit Vladimir Putin am 13. September 2013 in Bischkek dem russischen Präsidenten sagte, einer der Präsidentschaftskandidaten gehöre seiner Delegation an – und der Kreml diese Neuigkeit dann in einer Pressemeldung ausposaunte.[12]

Präsident Karzai wird für den Wahlausgang entscheidend sein. Seine Unterstützung wird Verlauf und Ergebnis der Wahl erheblich beeinflussen, denn er wird nicht nur alle verfügbaren Mittel zugunsten eines ihm genehmen Nachfolgers einsetzen, es ist auch davon auszugehen, dass sich viele unentschlossene Wähler für Rassoul entscheiden, wenn sie ihn für ein Geschöpf Karzais halten. Im Besonderen gilt das in den paschtunischen Gebieten. In Kabul ist es ein offenes Geheimnis, dass Rassoul die Regierung auf seiner Seite hat. Berichte deuten darauf hin, dass neun Minister des derzeitigen Kabinetts damit beauftragt worden sind, sicherzustellen, dass Rassoul gewinnt. Zu diesen neun gehören so mächtige Männer wie Finanzminister Hazrat Omar Zakhilwal – und das obgleich Unterstützer von Ashraf Ghani der Meinung sind, Zakhilwal stünde auf ihrer Seite, doch da liegen sie falsch.

Die Erhebung von Pajhwok kommt zu dem Ergebnis, dass 44 Abgeordnete Rassoul unterstützen. Auf sich gestellt wäre Rassoul auf diese Zahl kaum gekommen und viel spricht dafür, dass man ihm von ganz oben unter die Arme greift. Auf der Liste der Unterstützer findet sich auch Bildungsminister Faruk Wardak, ein loyaler Mann Karzais. Da die meisten Wahllokale sich in Schulen befinden werden und die Lehrer als Wahlhelfer dienen, kann das Bildungsministerium die Wahl am Wahltag entscheidend beeinflussen. Ebenfalls wichtig sind das Verteidigungs- und das Innenministerium, die hunderttausende Menschen beschäftigen sowie die Nationale Sicherheitsdirektion (NDS), Afghanistans Geheimdienst. Die Sicherheitsbehörden sind von solch großer Bedeutung, da sie überall im Land präsent sind, selbst hunderttausende Wähler stellen und ohne weiteres dazu in der Lage sind, den Ausgang der Wahl zu entscheiden – sei es durch Druck, Erpressung, Einschüchterung oder Wahlfälschung. Bei den beiden letzten Präsidentschaftswahlen war dies für Karzais Erfolg entscheidend. Zwei ehemalige Chefs des NDS haben hinter vorgehaltener Hand eingestanden, im großen Stil Wahlbetrug angeordnet zu haben.

Der aktuelle Geheimdienstchef hat lange zusammen mit Rassoul im Präsidentenpalast gearbeitet und wird sich als treuer Mann Karzais bestimmt auf Rassouls Seite schlagen. Vom afghanischen Verteidigungsminister wird berichtet, er habe unlängst in Australien zu einer Gruppe von Landsleuten aus seiner Heimatprovinz Panjshir, die sich in Australien niedergelassen haben, gesagt, er werde den von Karzai gewünschten Nachfolger unterstützen. Das ist aber noch nicht alles. Es wird auch berichtet, dass Wais Barmak, der Minister für Ländliche Entwicklung, nun gleichfalls Rassoul unterstützt. Dieses Ministerium hat im Rahmen seines Programms für Nationale Solidarität über 30.000 Gemeinschaftsentwicklungsräte (CDC) eingerichtet. Über diese CDCs hätte das Wahlkkampfteam von Rassoul ein potentes Mittel, auf kommunaler Ebene Politik zu machen. Der ehemalige Sprecher von Karzai, Wahid Omar, Jawed Ludin, der ehemalige stellvertretende Außenminister, sowie der stellvertretender Vorsitzender des Unterhauses Mirwais Yasini unterstützen allesamt Rassoul.  Die beiden letztgenannten gelten dabei auch als die wichtigsten Finanziers von Rassouls Wahlkampf. Jawed Ludin ist Vorsitzender von ANHAM, einem multinationalen Konzern mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem nachgesagt wird, in der Vergangenheit sehr bedeutende Summen an Politiker gezahlt zu haben.[13]

Schließlich wird auch Karzais mächtiges Netzwerk, dem der Nationale Sicherheitsberater  Engineer Ebrahim vorsteht, Rassouls Wahlchancen im Süden und Südosten des Landes erheblich steigern. Mächtige Einzelpersonen wie Abdul Raziq in Kandahar und Matiullah in Urusgan werden Rassoul bedeutende Stimmenkontingente sichern. Eine Reihe von Abgeordneten aus dem Südosten unterstützt Rassoul bereits offiziell. Im Westen Afghanistans ist der mächtige Vorsitzende des Provinzrats von Herat ein Verbündeter Rassouls. Und dann zog vergangene Woche Präsident Karzais Bruder, Qayum Karzai, seine Kandidatur zugunsten von Rassoul zurück, womit sich ein weiteres Mal zeigte, wen Karzai unterstützt. Als einziger Rivale Rassouls im Süden des Landes bleibt so Gul Agha Sherzai, ein ehemaliger Warlord aus Kandahar. Sollte auch Sherzai seine Kandidatur zurückziehen, hätte Rassoul im Landessüden freie Bahn.

Was sagen die Fachleute?
Da Zalmay Rassoul von Karzai unterstützt wird, halten ihn manche Buchmacher für den Favoriten. Andere sind vorsichtiger, denken aber auch, dass er die bekannteren Kandidaten vor eine ernste Herausforderung stellen kann.

 

Fazit

Insgesamt sieht es so aus, als werde die Entscheidung zwischen nur wenigen Bewerbern fallen. Das war auch 2009 so, als nur vier der 32 Kandidtaen in wenigstens einer Provinz über zehn Prozent der Stimmen erzielten – auf nationaler Ebene waren es nur drei. Entsprechend kann man davon ausgehen, dass Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah gut abschneiden werden, da sie von populären politischen Gruppen unterstützt werden – und ebenso Zalmay Rassould, der von Präsident Karzai protegiert wird. Das schließt aber nicht die Möglichkeit aus, dass auch ein oder zwei andere Kandidaten auf über zehn Prozent kommen.

 

Hinweis: Mehr Informationen zur aktuellen politischen Lage in Afghanistan finden Sie in unserem Webdossier: "Afghanistans Wandel im Werden - Menschen, Meinungen und der politische Prozess 2014"

Fotos: World Economic Forum (Ashraf Ghani, CC BY-NC-SA 2.0), Österreichisches Aussenministerium (Zalmay Rassoul, CC BY 2.0), Crans Montana Forum (Abdullah Abdullah, CC BY-SA 2.0)

 

 

[1] Dieser Ansatz wurde angeregt von Dr. Ahmad Idrees Rahmani, einem in den USA lebenden afghanischen Forscher, der zugleich Direktor der AIR Consulting Company ist.

[2] Daud (2014).

[3] DI (2014).

[4] Die vollständige Liste findet sich auf Halim Fedais Facebook-Seite (auf paschtunisch), siehe: https://www.facebook.com/halimfidai/posts/477223705736990

[5] Zaheer (2014)

[7] Einzelheiten finden sich auf der Seite der Unabhängigen Wahlkommission: http://www.iec.org.af/results_2009/

[9] Ruttig (2006).

[10] Die Quelle für diese Information möchte anonym bleiben.

[11] Daud (2008)

[12] Siehe die fragliche Presseerklärung: http://eng.kremlin.ru/news/5984

[13] Die Quellen für sämtliche Informationen in diesem Abschnitt wünschen anonym zu bleiben.

 

Weiterführende Literatur:

ATR-Consulting and Tolonews (2013): VOTING INTENTIONS: 2014 Presidential Elections. http://www.tolonews.com/TOLOnews_photo/results_second_polling_atr_dec_2013.pdf

Daud, Malaiz (2008): Leadership for Reconstruction: An Examination of Traits and Actions of Political Leadership of Afghanistan in Post-9/11 Scenario. University of York.

Daud, Malaiz (2014): The Political Landscape of Afghanistan and the Presidential Election of 2014. Barcelona Center for International Affairs (CIDOB). http://www.cidob.org/en/publications/stap_rp/policy_research_papers/the_political_landscape_of_afghanistan_and_the_presidential_election_of_2014

Democracy International (2014): Afghanistan Opinion Poll: December 2013. Democracy International. http://democracyinternational.com/publications/afghanistan-public-opinion-polling-project-results-first-poll

Ruttig, Thomas (2006): Islamists, Leftists – and a Void in the Center. Afghanistan’s Political Parties and where they come from (1902-2006). Konrad Adenauer Stiftung. http://www.kas.de/wf/doc/kas_9674-544-2-30.pdf

Zaheer, Abasin (2014): MPs support 3 presidential runners. Pajhwok Afghan News. http://www.pajhwok.com/en/2014/02/16/mps-support-3-presidential-runners